29.04.2010

Neues EU-Indien-Freihandelsabkommen gefährdet medizinische Versorgung der Ärmsten

Seit mehr als drei Jahren verhandeln die Europäische Union und Indien nun schon über ein bilaterales Freihandelsabkommen, das den Abbau von Zöllen und anderen Exportbeschränkungen vorsieht. Gestern begann in Brüssel die nächste Verhandlungsrunde, die das Abkommen zum Abschluss bringen soll. Doch manche Inhalte sind noch immer strittig: So fordert die EU von Indien einen strikteren Schutz von Urheberrechten und Patenten. Indien spielt für ärmere Länder jedoch eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung bezahlbarer, lebensnotwendiger Medikamente. Die Nichtregierungsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ warnt deswegen davor, dass Millionen Menschen der Zugang zu lebensrettenden Medikamenten durch das Abkommen versperrt werden könnte. In einem offenen Brief appelliert sie an Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, sich bei der EU für die Rechte der Armen einzusetzen.


Es würde vor allem europäischen Pharmakonzernen Vorteile bringen: Die EU fordert in den aktuellen Verhandlungen um ein neues Freihandelsabkommen die Ausweitung der geistigen Eigentumsrechte im pharmazeutischen Bereich. Die komplexen Regelungen erschweren die Zulassung und Herstellung indischer Nachahmer-Medikamente (Generika) erheblich. „Datenexklusivität“ soll zum Beispiel die Zugangsrechte zu bestimmten Forschungsdaten sichern. Generikahersteller könnten somit nicht wie bisher für die Zulassung ihres Medikamentes auf bestehende klinische Studien verweisen, sondern müssten diese selber durchführen. Dies würde durch hohe Kosten und aufwendige Wiederholungen selbst dann die Zulassung erschweren, wenn der Patentschutz für das Originalmedikamet schon abgelaufen ist. Die Forderungen der EU gehen nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen sogar weit über bestehende internationale Verträge wie das „Übereinkommen über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums“ (TRIPS) hinaus.

Dem achten Millenniumsziel läuft das geplante Freihandelsabkommen entgegen. „In Zusammenarbeit mit den Pharmaunternehmen Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln zu erschwinglichen Preisen in Entwicklungsländern gewährleisten“ wurde als Unterziel des achten Entwicklungziels festgelegt. Das Gegenteil würde erreicht: Die indische Pharmaindustrie ist einer der wichtigsten Hersteller von Generika. Doch nicht nur der inländische Markt wird mit den preiswerteren Medikamenten versorgt, auch viele ärmere Länder beziehen die lebensrettenden Medikamente vom indischen Generika-Markt: 92 Prozent der derzeit in Entwicklungsländern verwendeten Präparate kommen aus Indien. Millionen HIV/Aids-Patienten erhalten antiretrovirale Medikamente, die auf dem Subkontinent hergestellt sind. Hätte die EU mit ihren Forderungen Erfolg, würde die Herstellung von Generika erschwert werden – lebenswichtige Medikamente wären damit für die Armen noch unerschwinglicher.

Für beide Verhandlungspartner steht ökonomisch viel auf dem Spiel: Die EU ist Indiens größter Handelspartner, Indien rangiert für die EU immerhin auf Platz neun. Auf gleicher Augenhöhe begegnen sich die Länder jedoch nicht: Denn, obwohl die indische Wirtschaft in den vergangenen Jahren um rund zehn Prozent gewachsen ist, gibt es in Indien noch immer den weltweit größten Anteil armer Menschen. Nach Angaben der Weltbank leben 810 Millionen Inder unterhalb der Armutsgrenze.

Ärzte ohne Grenzen wendet sich deswegen in einem öffentlichen Brief an Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, er solle „seinen Einfluss in der EU geltend machen, damit Bestimmungen zum Schutz des geistigen Eigentums, die über das TRIPS-Abkommen hinaus gehen, nicht Bestandteil des bilateralen EU-Indien-Abkommens werden.“ Auch Dr. Renée Ernst fordert Brüderle auf, die Ärmsten bei dieser entscheidenden Verhandlungsrunde nicht zu vergessen: „Um die Umsetzung der Millenniumsziele nicht zu gefährden, ist es wichtig, dass die Ärmsten einen ungehinderten Zugang zu lebensrettenden Medikamenten bekommen. Dies ist sogar mit den Millenniumszielen vereinbart worden. Sollte die EU ihre Forderungen durchsetzen, würde das Millionen von Menschen in Gefahr bringen.“

Relevante Informationen:

  • Hier finden Sie den offiziellen Brief von „Ärzte ohne Grenzen“
  • Weed-Studie als Hintergundinfo "Die Fesseln des EU-Indien-Freihandelsabkommens"