29.07.2010

Der Zugang zu Wasser– seit gestern ein Menschenrecht!

In vielen Ländern trinken die Menschen Wasser aus der Flasche und bescheren Großkonzernen damit riesige Gewinne. Doch Fakt ist: 884 Millionen Menschen leiden noch immer unter mangelndem Zugang zu sicherem Trinkwasser, 2,6 Milliarden sind nicht mit grundlegenden Hygieneeinrichtungen versorgt. Gestern nahm die UN-Generalversammlung eine Resolution an, mit der das Recht auf Wasser und Sanitäreinrichtungen zum Menschenrecht erklärt wird. Die Redaktion der UN-Millenniumkampagne sprach mit dem Leiter des Menschenrechtsreferats von Brot für die Welt, Michael Windfuhr, über die Bedeutung von Wasser.


Michael Windfurhr ist der Leiter des Menschenrechtsreferats von BfdW.

Herr Windfuhr, gestern wurde in New York entschieden, dass der Zugang zu Wasser bei den Vereinten Nationen als Menschenrecht verankert wird. Wie beurteilen Sie die Resolution, die Mitte Juni vom bolivianischen Botschafter bei der UN, Pablo Solón, eingebracht und von 122 Staaten unterstützt wurde?

Das Recht auf Wasser gibt es bereits: Der Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (kurz UN-Sozialpakt) definiert unter anderem das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard. Hierzu zählt nach Auslegung des UN-Expertenkomitees für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte auch der Zugang zu sauberen Trinkwasser. Zurzeit wird untersucht, ob das Recht auf Wasser und Sanitärversorgung im UN-Sozialpakt noch näher präzisiert werden sollte. Hierfür hat der UN-Menschenrechtsrate eine unabhängige Expertin nominiert, Amtsinhaberin ist die Portugiesin Catarina de Albuquerque. Sie wird ihre Ergebnisse im kommenden Jahr dem Menschenrechtsrat vorstellen. Fakt ist: Eine Resolution wie sie gestern verabschiedet wurde kann das Recht auf Wasser nicht kreieren, dieses Recht muss auf einen völkerrechtlichen Vertrag basieren, sie wird seine Anerkennung aber stärken. Positiv ist zudem, dass die Resolution neben dem Recht auf Wasser auch das Recht auf sanitäre Grundversorgung als Menschenrecht hervorhebt.  
 

Die USA, Kanada sowie 40 weitere Staaten haben sich gestern enthalten. Welche Gründe gibt es Ihrer Meinung nach für die Enthaltung so vieler Staaten?

Das Problem sind einzelne Elemente des Resolutionstextes, die diese Länder nicht als Elemente des Rechts auf Wasser und Sanitärversorgung anerkennen. Die USA hätten, wie viele andere Länder auch, lieber den Prozess im Menschenrechtsrat abgewartet, bevor eine solche Resolution angenommen wird. Hier ist die genaue Beschreibung der Staatenpflichten und der rechtlichen Norm beim Recht auf sanitäre Grundversorgung jedoch noch nicht abgeschlossen. Beim Recht auf Wasser gibt es eine deutlich größere Klarheit, da das UN-Expertenkomitee für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte bereits 2002 einen Rechtskommentar zum Recht auf Wasser verabschiedet hat. Vergleichbares fehlt bislang zum Recht auf sanitäre Grundversorgung.  Dies soll u.a. die Arbeit der unabhängigen Expertin leisten.

Umstritten ist inhaltlich immer wieder ob die Privatisierung von Wasserdienstleistungen durch das Recht auf Wasser grundsätzlich ausgeschlossen ist. Der Rechtskommentar zum Recht auf Wasser des UN-Expertenkomitees schließt eine Privatisierung nicht grundsätzlich aus, bindet sie aber an hohe Auflagen. Der Staat muss in der Lage sein, Privatisierungsvorhaben angemessen zu regulieren, damit es nicht zu  Verletzungen des Rechts auf Wasser kommen kann. Wichtig ist, dass der Staat eine Aufsichtspflicht zugesprochen bekommt, damit jeder Bürger auch wirklich einen Zugang zu Wasser erhält. Großkonzerne sollten nicht ohne staatliche Kontrolle walten und schalten dürfen.


Die Privatisierung von Wasser ist in vielen Entwicklungsländern ein Problem. Was ändert sich, wenn Wasser wie Ware behandelt wird?

Zunächst gilt: Hauptverantwortlich für die Wasserkrise in der Welt sind nicht die bisherigen Privatisierungsprozesse, sondern die zum Teil unwilligen Regierungen in Ländern des Südens. Sie setzen vorhandene Ressourcen nicht armutsorientiert ein, schließen Menschen vom Zugang zu Wasser aus oder kümmern sich kaum oder einfach gar nicht um das Problem.

Bei der Privatisierung gibt es zwei Tatbestände, die hier unterschieden werden sollten. Der eine betrifft die Privatisierung von Wasserdienstleistungen, der andere die direkte Privatisierung von Wasserquellen.

Mit der Privatisierung von Wasserdienstleistungenen ist beispielsweise der Verkauf von Wassernetzen innerhalb einer Stadt gemeint. Oftmals versprechen Unternehmen beim Kauf von Wassernetzen hohe Investitionen, die sie nicht einhalten. Stattdessen erhöhen sie die Wasserpreise um ein Vielfaches und erschweren besonders ärmeren Bevölkerungsgruppen den Zugang zu Trinkwasser. In Bolivien kam es deshalb 1999 zu einem Konflikt: Ein Konzern kaufte die Wasserversorgung der Stadt Cochabamba und erhöhte innerhalb kürzester Zeit die Wasserpreise. Als die Bevölkerung von Cochabamba protestierte, kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen der Zivilgesellschaft und dem Militär. Sieben Menschen starben, Dutzende wurden verletzt. Der Konzern hat sich in letzter Konsequenz zurückgezogen, das ist jedoch nicht immer der Fall.

Die Privatisierung von Wasserquellen bezieht sich auf den direkten Verkauf von Quellen, Seen oder Flüssen. Hier ist es in der Tat dann so, dass der ansässigen Bevölkerung der komplette Zugang zu Wasser entzogen wird. Als Beispiel fällt mir der Fall einer indischen Dorftgemeinschaft ein, in welcher Coca Cola den einzigen Brunnen kaufen wollte, den sie hatten. Die Wasserversorgung des Ortes wäre dadurch sehr schwierig geworden. Der Dorfrat lehnte einen Verkauf deswegen letzten Endes ab.

Beide Szenarien sind sehr gefährlich und deuten auf zukünftige Wasserkonflikte hin, wenn das Wasser global und in vielen Ländern immer knapper werden wird. Das Recht auf Wasser schließt allerdings Privatisierungen nicht per se aus, sondern erfordert eine angemessene Kontrolle durch den Staat. Wichtig ist darüber hinaus, dass der Staat gewährleistet, dass jeder Bürger mit Wasser versorgt wird und seinen Menschenrechtspflichten nachkommt.


Warum muss das Thema Wasser auch bei der Umsetzung der Millenniumentwicklungsziele an oberster Stelle stehen?

Ausreichend sauberes Wasser ist laut UNICEF die Grundvoraussetzung, um Krankheiten wie Cholera, Typhus oder Durchfall zu verhindern. Die Kindersterblichkeit aufgrund von Unterernährung ist in vielen Entwicklungsländern nicht deswegen so hoch, weil sie zu wenig zu Essen haben, sondern weil ihnen der Zugang zu sauberem Trinkwasser und Sanitärversorgung fehlt und sie deswegen an Durchfallerkrankungen leiden. Auch die Müttersterblichkeit könnte erheblich verringert werden, wenn die Sanitärversorgung für schwangere Frauen verbessert werden würde. Der Umsetzungsprozess für MDG 7 läuft jedoch viel zu langsam. Wird das derzeitige Tempo von der Staatengemeinschaft beibehalten, wird das Teilziel von MDG 7 – bis 2015 den Anteil der Menschen zu halbieren, die keinen Zugang zu hygienisch einwandfreiem Trinkwasser haben –, erst nach dem Jahr 2100  erreicht, wie ich neulich in einer Broschüre las.

Der Zugang zu Wasser muss deshalb mehr Priorität in den nationalen Budgets erhalten. Zudem muss der Staat dafür sorgen, dass Nutzungskonflikte gar nicht erst entstehen und Konzerne die Wasserpreise nicht ungezügelt erhöhen.

Herr Windfuhr, ich danke Ihnen für das Gespräch!