25.06.2010

G20-Gipfeltreffen in Kanada: UN-Kampagne fordert konkreten Maßnahmenplan gegen Armut

Um den G20-Gipfel vorzubereiten, kommen die acht wichtigsten Industrienationen bereits heute im kanadischen Huntsville zusammen. Am Wochenende beraten die G20-Staaten dann gemeinsam in Toronto über eine internationale Finanzmarktregulierung, eine mögliche Bankenabgabe und die Einführung der Finanztransaktionssteuer. Zudem wollen sich die wichtigsten Industrie-und Schwellenländer zentralen entwicklungspolitischen Fragen widmen. Der kanadische Gastgeber will dabei den Kampf gegen die Mütter- und Kindersterblichkeit in den Vordergrund stellen.


Eines ist bereits vor dem Gipfeltreffen klar: Das Versprechen des G8-Gipfels von 2005 im schottischen Gleneagles wurde nicht umgesetzt. Damals hatten die acht reichsten Industrienationen zugesagt, ihre Entwicklungshilfe bis 2010 um insgesamt 22,6 Milliarden US-Dollar zu steigern. Dieses Ziel wurde deutlich verfehlt: Afrika wird bis Ende des Jahres lediglich 13,7 Milliarden Dollar erhalten. Zudem hat sich die Handelspolitik der reichsten Industrienationen gegenüber den afrikanischen Staaten auch fünf Jahre nach Gleneagles kaum geändert: Noch immer konterkarieren beispielsweise Agrarsubventionen das Bemühen armer Länder, ihre Ernährungssouveränitat sicherzustellen. Zudem sind die Wirtschaftsabkommen  zugunsten der reichen Nationen ausgelegt.

„Die Bilanz, die die G8-Staaten fünf Jahre nach Gleneagles ziehen können, ist ernüchternd”, erklärt die Leiterin der UN-Millenniumkampagne, Dr. Renée Ernst, „sie führt seitens der Entwicklungsländer zu großem Vertrauensverlust in die internationalen Absprachen.” Als Verursacher der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise stünden die G8 in der Pflicht, Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Folgen dieser Krise stärker zu unterstützen. Die Weltbank schätzt, dass allein zwischen 2009 und Ende 2015 aufgrund der Krisen etwa 1,2 Millionen mehr Kinder sterben und zusätzlich 55 Millionen Menschen in Armut fallen werden, ein Großteil davon in Subsahara- Afrika. „Statt zu helfen nutzen die G8 die Krise als Vorwand, um ihre finanziellen Zusagen nicht einzuhalten; eine doppelte Ohrfeige für die armen Länder”, so Ernst.

Bereits im vergangenen Jahr diskutierten die G8-Staaten im italienischen L'Aquila über ein notwendiges Konzept der Rechenschaftspflicht. Man beschloss, dieses 2010 in Kanada weiter zu verfolgen. An diesem Wochenende darf es keine Ausreden mehr geben, fordert Ernst: „Was wir brauchen ist ein neuer Mechanismus auf globaler, regionaler und nationaler Ebene, der die Einhaltung der Entwicklungshilfezusagen stärker als bisher überwacht und somit größeren Druck auf die Industrienationen ausübt, ihre Verpflichtungen auch tatsächlich zu erfüllen.” Um mögliche Finanzierungslücken zu schließen, müssen zudem innovative Finanzierungsinstrumente, wie die Finanztransaktionssteuer, weiter vorangetrieben werden. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer hätte nicht nur eine regulierende Wirkung, sondern würde nach Angaben des Bundesfinanzministeriums bei einem Steuersatz von nur 0,05 Prozent allein Deutschland Einnahmen von jährlich 25 Mrd. Euro einbringen.

Auch der Verband Entwicklungspolitik (VENRO) erhofft sich von den G8-Staaten in Kanada mehr Einsatz für die weltweite Einführung einer Transaktionssteuer. In einer offiziellen Pressemitteilung zum G8-/G20-Gipfeltreffen begrüßte VENRO die Initiative von Bundeskanzlerin Merkel und des französischen Staatspräsidenten Sarkozy, sich in einem Brief an den kanadischen Premier Stephen Harper für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer einzusetzen. VENRO betonte zudem, dass der Großteil der deutschen Bevölkerung für die Einführung einer solchen Steuer sei. In einer Meinungsumfrage von VENRO votierten fast 70 Prozent der Befragten für die Finanztransaktionssteuer.

Beim letzten G8-Gipfel in Italien wurde die Mütter- und Kindergesundheit als dringendstes globales Gesundheitsproblem anerkannt. Für die kanadische Regierung hat dieses Thema in diesem Jahr deshalb höchste Priorität. Der kanadische Premierminister Stephen Harper kündigte an, sich auf dem Gipfeltreffen für eine Initiative stark zu machen, in der sich Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und der Privatsektor gemeinsam für die Umsetzung von MDG 5 (Müttergesundheit) und MDG 4 (Kindersterblichkeit) einsetzen.

Der aktuelle MDG-Report 2010, der Mitte dieser Woche von UN-Generalsekretär Ban ki-Moon in New York vorgestellt wurde, belegt wie wichtig Harpers Bemühungen sind. Laut dem Bericht konnten in einigen Regionen zwar große Fortschritte im Bereich der Mütter- und Kindergesundheit erreicht werden, es gibt jedoch noch immer großen Handlungsbedarf. In Nordafrika beispielsweise hat sich der Anteil von Frauen, der sich während der Schwangerschaft mindestens einmal einer Vorsorgeuntersuchung unterzieht, in den letzten zehn Jahren um 70 Prozent gesteigert. Zudem konnten durch die Erhöhung der Routineimpfungen große Erfolge im Bereich der Kindersterblichkeit erzielt werden: Statt 12,5 Millionen im Jahr 1990 starben im Jahr 2008 nur noch 880.000 Kinder an Masern.Dennoch muss noch mehr getan werden, um MDG 4 und MDG 5 fristgerecht bis 2015 zu erfüllen.

Denn der Bericht belegt auch: Noch immer sterben jährlich 8,8 Millionen Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr, mehr als zwei Millionen Mütter kommen bei der Entbindung ihres Kindes aufgrund von Komplikationen um. „Die UN-Millenniumkampagne begrüßt die Bemühungen der kanadischen Regierung, MDG 4 und MDG 5 in den Fokus des Gipfeltreffens zu stellen”, erklärt Ernst, „dabei gilt es insbesondere die Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit (SRGR) voranzutreiben, denn nach wie vor sterben viel zu viele Frauen an den Folgen von Schwangerschaften.” Jede Minute werden 190 Frauen ungewollt schwanger. In einigen Gebieten sind Schwangerschaftskomplikationen die Hauptursache für Frauen im gebärfähigen Alter. „Diese Todesfälle könnten maßgeblich reduziert werden, wenn Frauen ihr Recht auf Zugang zu Informationen sowie zu sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdiensten gewährt werden würde und ausreichend Verhütungsmittel zur Verfügung stünden”, erklärt Ernst.


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