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28.03.2011

„Rio+20 bietet die Chance Entwicklung und Umwelt enger zu verbinden“

Vom 4. bis 6. Juni 2012 wird der „Nachhaltigkeitsgipfel“ in Rio de Janeiro stattfinden, genau zwanzig Jahre nach der ersten UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung. Jens Martens, Leiter des Europa-Büros des Global Policy Forums, erläutert im Gespräch mit der Millenniumkampagne die Ziele und Chancen, die sich mit Rio+20 verbinden.


Herr Martens, nächstens Jahr findet der so genannte „Nachhaltigkeitsgipfel Rio+20“ statt. Was müssen wir uns denn darunter vorstellen? Wer kommt dort zusammen und vor allen Dingen: Was soll dort besprochen werden?

Wenn es nach den brasilianischen Gastgebern geht, wird der Gipfel zu einem historischen Ereignis: Die brasilianische Regierung erwartet über 100 Staats- und Regierungschefs. Die Zivilgesellschaft erhofft sich auf Rios Straßen Millionen von Menschen, die für eine sozial gerechte und ökologisch tragfähige Entwicklung demonstrieren. Bei der Konferenz geht es um die Wiederbelebung der Ergebnisse der ersten Rio-Konferenz für Umwelt und Entwicklung von 1992. Thematisch wird sie sich auf die Themen „Green Economy“ und institutionelle Reformen im Umweltbereich konzentrieren. An der konkreten Ausgestaltung wird im Moment aber noch gearbeitet. Vor allem das Thema „grüne Wirtschaft“ ist nicht unumstritten. Im Kern wird es darum gehen, ob eine Ökologisierung der Wirtschaft gelingt, oder ob sich Unternehmen unter dem Label „Green Economy“ lediglich ein grünes Mäntelchen umhängen.

Der nachhaltige Umgang mit Ressourcen ist in den Millenniumszielen verankert. Außerdem liegt es auf der Hand, dass Umweltschutz/Klimawandel und Entwicklung ganz eng miteinander verbunden sind. Arme Länder leiden besonders unter den Folgen des Klimawandels, weil z.B. Dürren zu Ernteausfällen und Hungersnöten führen können. Gleichzeitig entwickeln sich Länder wie Indien und China rasant und werden voraussichtlich auch zunehmend CO2 produzieren. Trotzdem werden umwelt- und entwicklungspolitische Interessen in der Regel getrennt betrachtet. Welche Chance bietet Rio+20, um beides enger zu verzahnen?

Wenn sich die Konferenz im kommenden Jahr tatsächlich als Nachfolgeveranstaltung des Gipfels von 1992 versteht, stehen die Chancen für eine engen Verzahnung der beiden Themen gut. Denn Nachhaltigkeit, wie sie in den Abschlussdokumenten des Erdgipfels von 1992 verstanden wird, bezieht sich eben nicht ausschließlich auf die Umweltpolitik – so wichtig sie ist. Ein umfassendes Konzept nachhaltiger Entwicklung bedeutet, ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte gleichwertig zu berücksichtigen. Dass dies auch in Rio 2012 so ist, ist allerdings nicht automatisch der Fall. Dafür müssen alle, denen dies am Herzen liegt, auf allen Ebenen kämpfen. Manchmal scheint mir, den Regierungen sei die wechselseitige Abhängigkeit der globalen Krisen – Armut, Hunger, Klimaveränderungen, entfesselte Finanzmärkte – in ihrem ganzen Ausmaß noch nicht bewusst.

Was genau müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um beide Themen besser miteinander zu verbinden?

Die Akteure in der Umwelt- und Entwicklungspolitik müssen zu einem Perspektivwechsel bereit sein. Sie müssen anerkennen, dass nachhaltige Entwicklung ohne einen konsequenten Wandel der Konsum- und Produktionsweisen weltweit nicht zu machen ist. Damit verbunden ist auch die Abkehr von dem simplen Denkmuster, das Wirtschaftswachstum und Entwicklung gleichsetzt. Wir brauchen dringend andere Maße und Ziele, um „Wohlergehen“ und „gesellschaftlichen Fortschritt“ jenseits des Bruttonationaleinkommens messen zu können.

Bewegt sich in diese Richtung denn schon etwas?

Ja, es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Initiativen, die genau dies zum Ziel haben, von der neuen Enquêtekommission des Bundestages zu „Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität“ bis hin zum hochrangigen Panel für globale Nachhaltigkeitsfragen des UN-Generalsekretärs. Wir selbst sind an einer zivilgesellschaftlichen Initiative auf globale Ebene beteiligt, der so genannten „Civil Society Reflection Group on Global Develoment Perspectives“. Die Gruppe setzt sich mit diesen Fragen auseinander und verknüpft sie konkret mit der Zukunft der Millenniumsziele.

Was ist Ihr Wunsch für Rio+20?

Mein Wunsch ist zunächst, dass die Konferenz die mediale und politische Aufmerksamkeit erfährt, die sie verdient. Denn nur dann ist auch der Druck auf die Regierungen groß genug, damit diese die nötigen Beschlüsse fällen. Inhaltlich wünsche ich mir eine Überwindung der festgefahrenen Nord-Süd-Debatten der letzten Jahre – und eine Überwindung der eingerosteten Denkmuster. Wer es ernst meint mit der Verknüpfung von sozialem Fortschritt und ökologischer Nachhaltigkeit muss auch über handlungsfähige Staaten reden. Die Vorstellung, der Markt werde es schon richten, sollte endgültig begraben werden. Dafür wünsche ich mir auch eine Verpflichtung der Regierungen auf neue globale Nachhaltigkeitsziele – Sustainable Development Goals – die die Millenniumsziele nicht ersetzen sondern um wichtige Aspekte nachhaltiger Entwicklung erweitern – und dabei vor allem die reichen Länder in die Pflicht nehmen.

Herr Martens, herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg bei Ihrer wichtigen Arbeit!

Relevante Informationen:







mehr unter:www.un-kampagne.de