Seite Drucken


18.01.2011

Ursache und Wirkung - Nahrungsmittelpreise erreichen Rekordhoch

Nach einem Bericht der Welternährungsorganisation haben die Preise für Grundnahrungsmittel Rekordhöhen erreicht. Die weltweite Preissteigerung wird von der Europäischen Kommission kritisch beobachtet. Das Thema soll auf dem G20 Gipfel in Paris Ende Januar ebenso eine Rolle spielen wie bei den Verhandlungen für die EU-Agrarpolitik. Die Folgen für den Kampf gegen Hunger und Armut müssen dringend abgemildert werden.


32 lautet die Zahl, die auf internationaler Ebene derzeit zu Beunruhigung führt. Um genau 32 Prozent sind die weltweiten Lebensmittelpreise allein in der zweiten Jahreshälfte 2010 gestiegen. Diese Zahl veröffentlichte die Welternährungsorganisation (FAO) in ihrem Lebensmittelpreis-Index, in dem verschiedene Grundnahrungsmittel in ihrer Preisentwicklung verfolgt werden. Die weltweiten Preise für Zucker, Öl, Fleisch, Getreide und Milch erreichen damit ein Rekordhoch. Der Lebensmittelpreis-Index der FAO zeigt eine ähnliche Entwicklung wie im Jahr 2007. Eine Entwicklung, die damals in einer Lebensmittelkrise mündete.

Für den Anstieg der Lebensmittelpreise gibt es verschiedene Ursachen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Die Zunahme von Wetterextremen wie Dürren und Überschwemmungen haben die Ernten im Jahr 2010 deutlich verringert. Dies sind Phänomene, die zum Teil dem Klimawandel geschuldet sind. Bodenerosion und die Ausdehnung von Stadtgebieten zulasten Ackerland haben ebenfalls dazu beigetragen, dass weniger Nahrung produziert wurde. Auf der Nachfrageseite gibt es immer mehr Menschen, die Lebensmittel brauchen, jedes Jahr werden 80 Millionen Kinder geboren. Weiterhin gibt es in Schwellenländer mit zunehmendem Wohlstand einen Trend zum Verzehr von ressourcen-intensiver Nahrung wie Milch und Fleisch.

Experten weisen jedoch darauf hin, dass die Nachfrage geringer wäre, wenn das gesamte angebaute Getreide auch in den Nahrungsmarkt gelangen würde. In Amerika wurde von 416 Millionen Tonnen Getreide im Jahr 2009 mehr als ein Viertel für die Produktion von Ethanol verbraucht. Wenn es um Nahrung geht, steht der Mensch mit Autos zunehmend in Konkurrenz. Einen Anteil an hohen Nahrungsmittelpreisen hat auch die Finanzspekulation. Mit Nahrung kann wie mit Aktien und Immobilien gehandelt werden. Die extreme Entwicklung an dem Terminbörsen in den letzten Monaten geht zu Lasten aller Menschen, die steigenden Preisen direkt ausgesetzt sind.

Diese Verflechtung verschiedener Faktoren führt in der Summe zu den Rekordhöhen von Lebensmittelpreisen. Auf europäischer Ebene soll diese Analyse in die Verhandlungen über Agrarpolitik einfließen. EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolo sieht in dem Preisanstieg ein Zeichen für „die Bedeutung einer starken europäischen Agrarpolitik“. „Die sichere und ausreichende Produktion von Nahrung ist aufgrund steigender globaler Nachfrage, der ökonomischen Krise und mehr Marktinstabilität fundamental wichtig. Dies wird eines der Kernelemente der EU-Kommission in den Verhandlungen über die Gemeinsame Agrarpolitik sein“, sagte Ciolo, ohne jedoch auf die Problematik der bisherigen Überproduktion und ihre Folgen einzugehen.

Dr. Renée Ernst, Leiterin der deutschen UN-Millenniumkampagne, fordert einen Fokus auf die Auswirkungen der Landwirtschaftspolitik. „Die Neuordnung der EU-Agrarpolitik sollte bedenken, dass drei Viertel der ärmsten Menschen von Landwirtschaft leben. Die hohen EU-Exportsubventionen nehmen ihnen die Existenzgrundlage und vergrößern die Armut. Das Ziel kann daher nur eine verlässliche, nachhaltige Agrarpolitik sein, die nicht auf Exportsubventionen beruht. Entwicklungsländer dürfen nicht in Nahrungsabhängigkeit durch europäisches Agrardumping geraten. Stattdessen müssen die Möglichkeiten vor Ort ausgeschöpft werden durch landwirtschaftliche Beratung, verbessertes Saatgut, nachhaltige Bewässerungs- und Produktionsmethoden, um mehr Menschen aus Hunger und Armut zu befreien“, sagte Ernst. „Die Politik muss dem Kampf gegen Hunger mehr Bedeutung beimessen und insbesondere ihre Entscheidungen in verschiedenen Bereichen aufeinander abstimmen. Es hilft nicht wenn Finanzspekulation mit Nahrungsmitteln und die Biospritproduktion gegen die Bekämpfung des Hungerproblems arbeiten.“

Klemens van de Sand, Vorstandsmitglied von Germanwatch, kommt in einer Trendanalyse zur globalen Ernährungssicherung zum gleichen Fazit, dass mehr Agrosprit bei uns zu mehr Hunger in Entwicklungsländern führe. „Um die Abhängigkeit von importierten fossilen Rohstoffen zu reduzieren, greifen die USA und die EU nach wie vor durch Subventionen, Steuervorteile und Beimischungszwang zu Gunsten von sogenanntem Agrosprit in den Markt ein. Damit ignorieren sie die negativen Konsequenzen für die Ernährungssicherung“, sagte van de Sand, denn diese Verknappung von Lebensmitteln begünstige die weitere Preissteigerung durch Spekulation an Terminbörsen. „Energie- und Finanzmärkte müssen daher reguliert werden, um der Ernährungssicherung Vorrang vor der Produktion von Ethanol und Biodiesel zu geben und der Preistreiberei an den Getreidemärkten Einhalt zu gebieten“, fordert van de Sand.

Der Umweltanalytiker Lester Brown, Präsident des „Earth Policy Institute“ befürchtet, dass die Nahrungsmittelpreise auf hohen Niveau stagnieren werden: „Der momentane Preisanstieg in allen Nahrungsmittelbereichen ist kein zeitlich begrenztes Phänomen. Wir können nicht mehr erwarten, dass die Preise zur Norm zurückkehren, denn in einer Welt eines sich schnell ändernden Klimas gibt es keine Normalität mehr, zu der man zurückgehen kann.“ Sicherheit sei mit Blick auf globales Bevölkerungswachstum, politisch instabile Staaten und Nahrungsknappheit neu zu definieren. Lester Brown fordert daher Finanzmittel aus Militärhaushalten für Klima-, Wasserschutz und Bevölkerungsstabilisierung einzusetzen.

 

Relevante Informationen:







mehr unter:www.un-kampagne.de